Karl Ebingers Leben
Im Foto oben: Seine Mutter Hedwig, geb. Raichle, mein Vater Karl, sein Bruder Walter, mein Großvater Karl Ebinger, Schwester Hedwig.
Hier folgt die Ansprache zur Beerdigung meines Vaters, gehalten von meinem Schwager.
Weiter unten füge ich noch eigene Gedanken zu seiner Biografie stichwortartig an.
Weiter unten füge ich noch eigene Gedanken zu seiner Biografie stichwortartig an.
Jesus Christus spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. Johannes 11,25
Lebenslauf
Wir sind auf dem Friedhof von Pliezhausen zusammengekommen, weil wir Abschied nehmen müssen von Karl Ebinger. Er wurde am 3. Oktober 1940 in Kirchheim an der Teck geboren. Er war der erstgeborene Sohn der Eheleute Hedwig Ebinger, geb. Raichle, und Karl Ebinger. Er wurde in Dettingen getauft und konfirmiert. Am 13. Mai 1967 heiratete er in Hülben Johanna Ebinger, geb. Eißler und lebte mit ihr über 50 Jahre im Ehestand. Aus der Ehe gingen 3 Töchter und 5 Söhne hervor. Der Verstorbene erfreute sich an der Schar von 17 Enkelkindern. Nach seinem Abitur am Gymnasium in Kirchheim 1959 studierte Karl Ebinger an der Pädagogischen Hochschule in Esslingen bis 1963. Zuerst arbeitete er in Schorndorf an der Knabenschule. Dann holte ihn 1966 der Hahn‘sche Bürgermeister von Gniebel-Dörnach, Bruder Beck, an die Grundschule nach Dörnach. Dort verlebte er seine ersten Ehejahre, und in dieser Zeit kamen die ersten beiden Kinder auf die Welt. 1970 zog die Familie nach Altenriet ins Schulhaus, wo Karl Ebinger bis 2004 als Grundschulrektor mit seiner schnell anwachsenden Familie lebte. Nach seiner Ruhestandsversetzung zogen er und seine Frau nach Pliezhausen und verlebten dort noch etliche glückliche Jahre. Er starb am 8. März 2018 im Alter von 77 Jahren.
Ansprache zu Römer 8, 38+39
Liebe Johanna, liebe Kinder und Enkelkinder, liebe Geschwister, liebe Angehörige und Weggefährten, liebe Trauergemeinde, es war im Oktober 2004, da haben wir, lieber Matthias, deine Hochzeit mit Elizabeth gefeiert, in Alexandria, im US-Bundesstaat Virginia ganz in der Nähe der Hauptstadt Washington. Es war ein wunderbares Fest. Wir als deutsche Delegation waren alle ein wenig müde von der Zeitverschiebung und beeindruckt vom großen Amerika. Auf dem Parkplatz standen lauter prächtige Autos, manche der Gäste waren im Business, in den Banken – vieles machte viel her. Und dann war euer Vater dran, ein Grußwort zu sagen. Der Junge aus Dettingen, groß geworden in ganz einfachen Verhältnissen, bald schon in seinem Leben musste er ohne Mutter groß werden, geprägt von seiner schwäbischen Heimat, von der Alb und der Teck, ein Dorfschulmeister im besten Sinn, der die Kinder unterrichtet, den Chor leitet, die Orgel im Kirchlein von Altenriet spielt. Und da fängt er an zu reden, und sagt, wer wir denn sind. Und mir ist nicht alles in Erinnerung, aber er sagte: Wir sind nicht reich. Aber wir sind reich beschenkt! Das hat mich damals tief beeindruckt. Das fand ich wirklich großartig, das fand ich stark. Es wäre ja leicht anders gegangen. Man könnte angesichts der Größe sich selbst klein vorkommen, man könnte sich im Blick auf die ausgestellte Pracht ärmlich vorkommen. Leicht wäre das denkbar und nur zu gut verständlich. Aber euer Vater hat es anders gesagt: Wir sind nicht reich. Aber wir sind reich beschenkt! Im Glauben an den Gott, der uns liebt. Das war seine Prägung. Ganz bescheiden und ordentlich zu sein. Nicht das Große zu suchen, nicht den Glanz, sondern das Bodenständige und Stabile. Das war manchmal auch ein wenig mühsam für alle, die etwas Neues und Anderes ausprobieren wollten. Das was man hatte, hatte sich doch auch bewährt. Warum sollte es nicht mehr gut sein. Er hat einmal einen VW Passat gekauft, auf dem stand die Modellbezeichnung „Trend“ mit Buchstaben aufgeklebt. Trend war aber überhaupt nicht sein Wort, seine Richtung – es war ihm ganz zuwider, im „Trend“ sein zu sollen. So hat er diese 5 Buchstaben kurzerhand entfernt, und konnte doch darüber auch lachen. Wir sind nicht reich. Aber wir sind reich beschenkt! Im Glauben an den Gott, der uns liebt. Die Haltung dahinter war kein Trotz und kein Hadern, keine verhärmte Bitterkeit, dass andere doch viel besser dastehen, wie man es oft bei Menschen findet, sondern eine Haltung der Größe. Diese Haltung nimmt bei Paulus Maß. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Wer das weiß, wer das glauben und im Herzen halten darf, dass nichts von der Liebe Gottes scheiden kann; was es auch sein mag, der ist reich, der ist überreich beschenkt. Und aus diesem Reichtum hat Karl Ebinger gelebt. Und dass er viele Kinder und Enkelkinder hatte, aber kein großes Erbe zu verteilen hat; dass er ein tüchtiger Schwabe, indes aber kein Häuslesbauer war, das fuhr ihm nicht in die Parade, das war ihm gerade recht. Er war doch reich und überreich beschenkt in dem Glauben an Jesus Christus von dessen Liebe uns nichts scheiden kann. Was kann denn mehr sein? Das ist der erste Teil dessen, was ich heute zu sagen habe. Und dann habe ich die Familie gebeten, zu sagen, was Karl Ebinger, was dein Mann, liebe Johanna, was euer Vater, liebe Geschwister euch gewesen sei. Und das ist ein überreicher Schatz von Erinnerungen.
Erinnerungen der Kinder und Geschwister von Karl Ebinger
Zusammengestellt von Tochter Hedwig R., vorgetragen von Schwiegertochter Annette E.
Unser Papa war ein nüchterner und bescheidener Mensch, aber er war doch auch ein Lebensgenießer. Und er hatte einen weiten Blick. Er liebte seine Kirche; viele Jahre war er in der Württembergischen Landessynode. Papa interessierte sich auch sehr für Politik. Er litt mit den verfolgten Christen im Kommunismus (er schmuggelte mehrmals Bibeln nach Rumänien). Papa liebte Kunst, Architektur, Italien; ich glaube, die Urlaube am Gardasee und am Lago Maggiore gehören für uns Kinder und viele der Schwiegerkinder und für unsere Mama zu den hellsten Momenten in unserem Leben. Und Papa liebte Johann Sebastian Bach. Mit seinem Bruder Walter ging er als Gymnasiast häufig in die Kirchenkonzerte in Kirchheim; meistens wurden Bachkantaten aufgeführt. Wenn man mit ihm Auto fuhr, erzählte er, wann die Dorfkirchen erbaut worden waren, welcher Mäzen die Steige die Schwäbische Alb hinauf gestiftet hatte und wo sich noch richtige romanische Architektur finden ließ. Papa nahm sich Zeit für die wichtigen Dinge; das fällt in vielen Erinnerungen auf. Die erste Zeit der Ehe, das erzählt Mama, unternahmen sie weite Spaziergänge. Die Natur blühte auf, der Sommer kam, es muss ein unbeschreiblich schönes Jahr gewesen sein; und sie redeten stundenlang miteinander und freuten sich am Leben. Papa habe damals, in diesem ersten Ehejahr 1967, immer gesagt: „Das ist das Jahr der Rosen und der Erdbeeren.“ Und die beiden waren überglücklich, als im Jahr darauf ihr erstes Kind zur Welt kam: Johanna. Mir fiel immer wieder auf, dass Papa die Schuld nicht bei anderen suchte, sondern sich immer selbst befragte und gerne in Konflikten nachgab. Er erzählte uns einmal von dem Unglück, als seine geliebte Mutter in der Scheune hinabstürzte. Er bekam es als erster mit und rannte zu ihr. Sie lag noch lebend auf dem Boden, und er fragte sie intuitiv, ohne, dass es dafür einen Anlass gab: „Mutter, verzeihsch’ mir?“ Und sie habe geantwortet: „Ja, von ganzem Herzen“. Papa gehörte zu den wenigen Arbeiter- und Bauernkinder am Gymnasium in Kirchheim, zu dem er von Dettingen aus mit der Eisenbahn fahren musste. Als er ein hervorragendes Abitur absolvierte, präsentierte man ihm zwei Optionen für seine Zukunft: Arbeit auf dem Rathaus oder Arbeit als Lehrer. Papa sagte immer, beides hätte er sich gut vorstellen können. Er wurde Lehrer – und er war ein vorbildlicher Beamter. Sehr gerne tat er seinen täglichen Dienst mit Gemeinsinn und mit Liebe. Er lebte in der Öffentlichkeit, lief durchs Dorf zum Rathaus, zur Kirche und am Sonntag-Nachmittag zur Hahn’schen Stunde. Wenn er in Schlaitdorf Orgeldienst hatte, lief er durch die romantische Natur, oft ein, zwei Kinder im Schlepptau, über das Höllbachbrückle und den Pfad hinauf zwischen den Dorfgärten. Er verband den öffentlichen Dienst also mit seinem Ehrenamt als langjähriger Organist, Kirchengemeinderats-Vorsitzender und Chorleiter. Papa zelebrierte in seinem Studierzimmer, wo eine heilige Ordnung herrschte, geradezu das Aktenverwalten, die Stempelkissen und offiziellen Schul-Siegel, die Briefmarken, das Postmachen, Maschine-Schreiben, pflegte seine zahlreichen Ordner und Karteikarten und seine wohl ausgestattete Sammlung an Lehr- und Lernmitteln. Alle Arten von Formularen, Überweisungen, Beurteilungen, Zeugnissen füllte er gerne aus. Er tat seinen Dienst als guter Beamter ohne Hintergedanken oder Ansehen der Person! Er war nicht auf Beförderung aus. Er war mit seiner Position Jahrzehnte lang zufrieden ohne unruhig oder verdrießlich zu werden. Gerade für die Gastarbeiterkinder, die durch das Wirtschaftswunder immer zahlreicher in die Schule kamen, oder für Kinder aus sozial schwächeren Verhältnissen hatte er ein Herz. Er schickte Mädchen und Buben, die ohne Vesper gekommen waren, hoch in die Lehrerswohnung, damit unsere Mutter ihnen ein Brot machte. Nie hätte er sie schlechter behandelt als einheimische Kinder, im Gegenteil. Unser Papa konnte auch zornig werden. Vielleicht waren acht Kinder für diesen säuberlichen Menschen ein bisschen viel? Aber überwiegend erinnern wir Kinder und Schwiegerkinder und die Geschwister uns an seine Treue und an seine Sanftmut. Als seine Schwester Hedwig von seinem Tod hörte, hatte sie das starke Gefühl: Jetzt habe ich keinen ältesten Bruder mehr, der für mich da ist. Und sein Bruder Walter sagte, Papa sei für ihn ein selbstverständlicher und unaufdringlicher Begleiter gewesen. – Maria erzählte, dass sie mit ihrer Abiturnote so unzufrieden war. Papa setzte sich mit ihr hin und hörte ihre Klagen an. Dann sagte er in seiner feierlichen Art: „Also, ich bin zufrieden.“ Ein Bruder erzählte, wie er oft nicht schlafen konnte und immer wartete, bis Papa mit seinen Holzschlappen um halb 10 die Treppe runter kam. Dann schlüpfte das Kind aus seinem Bett und fing ihn an der großen weißen Treppenhaustüre ab. Sie gingen zusammen in die Küche und tranken Milch und unterhielten sich. Das waren besondere Momente, weil es eine der seltenen Zeiten zu zweit war. Als Mama ihre schwere Herzmuskelentzündung hatte, war Papa mit uns Kindern alleine zu Hause. Gerhard erinnert sich, wie wir alle am Klavier saßen und gemeinsam „Wir haben einen Felsen“ gesungen haben. Papa hat so schwungvoll gespielt wie immer. Aber es war auch klar, dass das etwas Ernstes bei Mama ist und Papa wohl befürchtete, dass er mit der Kinderschar alleine zurück blieben könnte. Gerhard hat gespürt, dass es hier um viel Gottvertrauen und um eine ganz heikle Situation ging. Davor hat Gott uns bewahrt. Wir alle haben schöne Erinnerungen daran, wie Mama uns mit Liedern und Gebet ins Bett brachte; wenn Papa dabei war, sprach er noch den Segen und legte die Hand auf unsere Köpfe. Doch immer wieder blieb die eine oder der andere von uns schlaflos: und dann konnten wir zu Papa ins Studierzimmer gehen, wo er und Mama noch Bach hörten und zusammen lasen oder arbeiteten. Martin erzählte, wie ihn mit Ende der Kindheit das große Elend überkam und er sich nachts zu Mama und Papa ins Studierzimmer schlich. Da sagte er weinend, wie traurig es doch ist, dass die Zeit vorbei geht; alles geht vorbei, der Urlaub, alle schönen Momente. Da war es Papa, der ihn auf den Schoß nahm und fragte: Ja, und was kommt dann ganz am Ende? – Der Tod. – Ja, und dann beginnt ein großes Hochzeitsfest im Himmel. Martin war noch nie auf einer Hochzeit; und Papa erklärte ihm, Hochzeit sei wie Weihnachten, nur noch schöner. Und tatsächlich verging mit der Angst vor dem Tod auch die Trauer darüber, dass alles vorbei geht. Ganz ruhig ist das Kind auf dem Sofa im Studierzimmer eingeschlafen. Auch Maria hat Erinnerungen an dieses Sofa im Studierzimmer. Als sie einmal dort schlafen durfte, sagte sie, dass die Wanduhr so laut tickt (Papa hatte ja diese Vorliebe für geräuschstarke Uhren). Papa meinte zu ihr, dass ihm das so gut gefällt, weil ihn jede Sekunde näher an die Ewigkeit bringt.
Schluss
Die Angst vor dem Tod auch die Trauer darüber, dass alles vorbei geht ... Tod und Leben, Engel und Mächte und Gewalten, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Hohes und Tiefes ... All das, liebe Freunde, was Paulus auffährt, das könnte unserem Vertrauen gefährlich werden. Das Hohe mit aller Herrlichkeit, das Tiefe mit aller Schwere, das Gegenwärtige mit aller Last dessen, was sich aufgehäuft hat. Und die Angst vor der Zukunft, das Leben mit allem, was brutto dazu gehört. Ihr habt, liebe Johanna, liebe Geschwister in den vergangenen Jahren erlebt, wie es viele Menschen erleben, dass Krankheit so einschneidend ein Leben verändern kann. Dass die Träume der Nacht zur Last werden, dass Medikamente, die zur Ruhe führen sollen, Ängste hervorrufen. Dass die Orientierung nicht mehr da ist. Dass „der Parkinson“, einer Person fast gleich, ein Mitbewohner im Haus wurde, es mit sich brachte, dass sich die Erinnerung verliert. Solches Erleben, das ist wie Mächte und Gewalten – man kann sich ihm gegenüber nicht erwehren. Aber ihr habt in dieser Zeit Hilfe erlebt. Ihr habt sie aneinander selbst erlebt und euch geholfen und beigestanden; und jeder hat nach Kräften beigetragen, was er oder sie konnte – besonders dein liebevolles und wunderbares Helfen und deine Geduld, liebe Maria, soll genannt werden. Du bist deinen Eltern und deinem Papa insbesondere ein Segen geworden – hab vielen Dank dafür. Und ihr habt wunderbare Schwestern der Diakonie erlebt und Ärztinnen und Ärzte, die euch beistanden. Das ist Grund zur Dankbarkeit. Die Abende in Altenriet und Pliezhausen endeten oft im Salon. Bei anderen Menschen heißt das Wohnzimmer. Da gab es großes Erzählen bei Punsch und Wein und Schokolade und Kerzenschein. Und immer, wenn es am Schönsten war, schaltete Karl die Deckenlichter dann, die flutlichtgleich die schöne Atmosphäre zu Ende brachten. Jetzt war es genug; ich lese noch einen Vers. Und manchmal las er den Vers gar nicht, sondern sagte ihn – wie so vieles – aus dem Herzen auf: Weil denn weder Ziel noch Ende sich in Gottes Liebe find't, ei so heb ich meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind, bitte, wollst mir Gnade geben, dich aus aller meiner Macht zu umfangen Tag und Nacht hier in meinem ganzen Leben, bis ich dich nach dieser Zeit lob und lieb in Ewigkeit. Das Vertrauen, dass ein Mensch haben kann, der zu Gott sagt, ei so heb ich meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind, dieses Vertrauen legt einen Anker im Herzen. Es kommen Stürme der Nacht. Es kommt all das, vom dem Paulus redet. Tod und Leben, Engel und Mächte und Gewalten, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Hohes und Tiefes ... Es kommen Tage der Sorge und Nächte der Angst. Es kommen Stürme auf; aber der Anker ist fest gesetzt: ei so heb ich meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. In diesem Vertrauen hat Karl Ebinger gelebt und hat so gelebt, dass er das Vertrauen für sich und für andere gemehrt hat. In diesem Vertrauen hat er auch gelebt, als er krank wurde und die Krankheit alles veränderte. In diesem Vertrauen konnte er auch loslassen und gehen: bis ich dich nach dieser Zeit lob und lieb in Ewigkeit. Und dieses Vertrauen nehmen wir auf als ein Geschenk, für das wir dankbar sind. Amen
Pfarrer Andreas Klein, Frankfurt am Main
Lebenslauf
Wir sind auf dem Friedhof von Pliezhausen zusammengekommen, weil wir Abschied nehmen müssen von Karl Ebinger. Er wurde am 3. Oktober 1940 in Kirchheim an der Teck geboren. Er war der erstgeborene Sohn der Eheleute Hedwig Ebinger, geb. Raichle, und Karl Ebinger. Er wurde in Dettingen getauft und konfirmiert. Am 13. Mai 1967 heiratete er in Hülben Johanna Ebinger, geb. Eißler und lebte mit ihr über 50 Jahre im Ehestand. Aus der Ehe gingen 3 Töchter und 5 Söhne hervor. Der Verstorbene erfreute sich an der Schar von 17 Enkelkindern. Nach seinem Abitur am Gymnasium in Kirchheim 1959 studierte Karl Ebinger an der Pädagogischen Hochschule in Esslingen bis 1963. Zuerst arbeitete er in Schorndorf an der Knabenschule. Dann holte ihn 1966 der Hahn‘sche Bürgermeister von Gniebel-Dörnach, Bruder Beck, an die Grundschule nach Dörnach. Dort verlebte er seine ersten Ehejahre, und in dieser Zeit kamen die ersten beiden Kinder auf die Welt. 1970 zog die Familie nach Altenriet ins Schulhaus, wo Karl Ebinger bis 2004 als Grundschulrektor mit seiner schnell anwachsenden Familie lebte. Nach seiner Ruhestandsversetzung zogen er und seine Frau nach Pliezhausen und verlebten dort noch etliche glückliche Jahre. Er starb am 8. März 2018 im Alter von 77 Jahren.
Ansprache zu Römer 8, 38+39
Liebe Johanna, liebe Kinder und Enkelkinder, liebe Geschwister, liebe Angehörige und Weggefährten, liebe Trauergemeinde, es war im Oktober 2004, da haben wir, lieber Matthias, deine Hochzeit mit Elizabeth gefeiert, in Alexandria, im US-Bundesstaat Virginia ganz in der Nähe der Hauptstadt Washington. Es war ein wunderbares Fest. Wir als deutsche Delegation waren alle ein wenig müde von der Zeitverschiebung und beeindruckt vom großen Amerika. Auf dem Parkplatz standen lauter prächtige Autos, manche der Gäste waren im Business, in den Banken – vieles machte viel her. Und dann war euer Vater dran, ein Grußwort zu sagen. Der Junge aus Dettingen, groß geworden in ganz einfachen Verhältnissen, bald schon in seinem Leben musste er ohne Mutter groß werden, geprägt von seiner schwäbischen Heimat, von der Alb und der Teck, ein Dorfschulmeister im besten Sinn, der die Kinder unterrichtet, den Chor leitet, die Orgel im Kirchlein von Altenriet spielt. Und da fängt er an zu reden, und sagt, wer wir denn sind. Und mir ist nicht alles in Erinnerung, aber er sagte: Wir sind nicht reich. Aber wir sind reich beschenkt! Das hat mich damals tief beeindruckt. Das fand ich wirklich großartig, das fand ich stark. Es wäre ja leicht anders gegangen. Man könnte angesichts der Größe sich selbst klein vorkommen, man könnte sich im Blick auf die ausgestellte Pracht ärmlich vorkommen. Leicht wäre das denkbar und nur zu gut verständlich. Aber euer Vater hat es anders gesagt: Wir sind nicht reich. Aber wir sind reich beschenkt! Im Glauben an den Gott, der uns liebt. Das war seine Prägung. Ganz bescheiden und ordentlich zu sein. Nicht das Große zu suchen, nicht den Glanz, sondern das Bodenständige und Stabile. Das war manchmal auch ein wenig mühsam für alle, die etwas Neues und Anderes ausprobieren wollten. Das was man hatte, hatte sich doch auch bewährt. Warum sollte es nicht mehr gut sein. Er hat einmal einen VW Passat gekauft, auf dem stand die Modellbezeichnung „Trend“ mit Buchstaben aufgeklebt. Trend war aber überhaupt nicht sein Wort, seine Richtung – es war ihm ganz zuwider, im „Trend“ sein zu sollen. So hat er diese 5 Buchstaben kurzerhand entfernt, und konnte doch darüber auch lachen. Wir sind nicht reich. Aber wir sind reich beschenkt! Im Glauben an den Gott, der uns liebt. Die Haltung dahinter war kein Trotz und kein Hadern, keine verhärmte Bitterkeit, dass andere doch viel besser dastehen, wie man es oft bei Menschen findet, sondern eine Haltung der Größe. Diese Haltung nimmt bei Paulus Maß. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Wer das weiß, wer das glauben und im Herzen halten darf, dass nichts von der Liebe Gottes scheiden kann; was es auch sein mag, der ist reich, der ist überreich beschenkt. Und aus diesem Reichtum hat Karl Ebinger gelebt. Und dass er viele Kinder und Enkelkinder hatte, aber kein großes Erbe zu verteilen hat; dass er ein tüchtiger Schwabe, indes aber kein Häuslesbauer war, das fuhr ihm nicht in die Parade, das war ihm gerade recht. Er war doch reich und überreich beschenkt in dem Glauben an Jesus Christus von dessen Liebe uns nichts scheiden kann. Was kann denn mehr sein? Das ist der erste Teil dessen, was ich heute zu sagen habe. Und dann habe ich die Familie gebeten, zu sagen, was Karl Ebinger, was dein Mann, liebe Johanna, was euer Vater, liebe Geschwister euch gewesen sei. Und das ist ein überreicher Schatz von Erinnerungen.
Erinnerungen der Kinder und Geschwister von Karl Ebinger
Zusammengestellt von Tochter Hedwig R., vorgetragen von Schwiegertochter Annette E.
Unser Papa war ein nüchterner und bescheidener Mensch, aber er war doch auch ein Lebensgenießer. Und er hatte einen weiten Blick. Er liebte seine Kirche; viele Jahre war er in der Württembergischen Landessynode. Papa interessierte sich auch sehr für Politik. Er litt mit den verfolgten Christen im Kommunismus (er schmuggelte mehrmals Bibeln nach Rumänien). Papa liebte Kunst, Architektur, Italien; ich glaube, die Urlaube am Gardasee und am Lago Maggiore gehören für uns Kinder und viele der Schwiegerkinder und für unsere Mama zu den hellsten Momenten in unserem Leben. Und Papa liebte Johann Sebastian Bach. Mit seinem Bruder Walter ging er als Gymnasiast häufig in die Kirchenkonzerte in Kirchheim; meistens wurden Bachkantaten aufgeführt. Wenn man mit ihm Auto fuhr, erzählte er, wann die Dorfkirchen erbaut worden waren, welcher Mäzen die Steige die Schwäbische Alb hinauf gestiftet hatte und wo sich noch richtige romanische Architektur finden ließ. Papa nahm sich Zeit für die wichtigen Dinge; das fällt in vielen Erinnerungen auf. Die erste Zeit der Ehe, das erzählt Mama, unternahmen sie weite Spaziergänge. Die Natur blühte auf, der Sommer kam, es muss ein unbeschreiblich schönes Jahr gewesen sein; und sie redeten stundenlang miteinander und freuten sich am Leben. Papa habe damals, in diesem ersten Ehejahr 1967, immer gesagt: „Das ist das Jahr der Rosen und der Erdbeeren.“ Und die beiden waren überglücklich, als im Jahr darauf ihr erstes Kind zur Welt kam: Johanna. Mir fiel immer wieder auf, dass Papa die Schuld nicht bei anderen suchte, sondern sich immer selbst befragte und gerne in Konflikten nachgab. Er erzählte uns einmal von dem Unglück, als seine geliebte Mutter in der Scheune hinabstürzte. Er bekam es als erster mit und rannte zu ihr. Sie lag noch lebend auf dem Boden, und er fragte sie intuitiv, ohne, dass es dafür einen Anlass gab: „Mutter, verzeihsch’ mir?“ Und sie habe geantwortet: „Ja, von ganzem Herzen“. Papa gehörte zu den wenigen Arbeiter- und Bauernkinder am Gymnasium in Kirchheim, zu dem er von Dettingen aus mit der Eisenbahn fahren musste. Als er ein hervorragendes Abitur absolvierte, präsentierte man ihm zwei Optionen für seine Zukunft: Arbeit auf dem Rathaus oder Arbeit als Lehrer. Papa sagte immer, beides hätte er sich gut vorstellen können. Er wurde Lehrer – und er war ein vorbildlicher Beamter. Sehr gerne tat er seinen täglichen Dienst mit Gemeinsinn und mit Liebe. Er lebte in der Öffentlichkeit, lief durchs Dorf zum Rathaus, zur Kirche und am Sonntag-Nachmittag zur Hahn’schen Stunde. Wenn er in Schlaitdorf Orgeldienst hatte, lief er durch die romantische Natur, oft ein, zwei Kinder im Schlepptau, über das Höllbachbrückle und den Pfad hinauf zwischen den Dorfgärten. Er verband den öffentlichen Dienst also mit seinem Ehrenamt als langjähriger Organist, Kirchengemeinderats-Vorsitzender und Chorleiter. Papa zelebrierte in seinem Studierzimmer, wo eine heilige Ordnung herrschte, geradezu das Aktenverwalten, die Stempelkissen und offiziellen Schul-Siegel, die Briefmarken, das Postmachen, Maschine-Schreiben, pflegte seine zahlreichen Ordner und Karteikarten und seine wohl ausgestattete Sammlung an Lehr- und Lernmitteln. Alle Arten von Formularen, Überweisungen, Beurteilungen, Zeugnissen füllte er gerne aus. Er tat seinen Dienst als guter Beamter ohne Hintergedanken oder Ansehen der Person! Er war nicht auf Beförderung aus. Er war mit seiner Position Jahrzehnte lang zufrieden ohne unruhig oder verdrießlich zu werden. Gerade für die Gastarbeiterkinder, die durch das Wirtschaftswunder immer zahlreicher in die Schule kamen, oder für Kinder aus sozial schwächeren Verhältnissen hatte er ein Herz. Er schickte Mädchen und Buben, die ohne Vesper gekommen waren, hoch in die Lehrerswohnung, damit unsere Mutter ihnen ein Brot machte. Nie hätte er sie schlechter behandelt als einheimische Kinder, im Gegenteil. Unser Papa konnte auch zornig werden. Vielleicht waren acht Kinder für diesen säuberlichen Menschen ein bisschen viel? Aber überwiegend erinnern wir Kinder und Schwiegerkinder und die Geschwister uns an seine Treue und an seine Sanftmut. Als seine Schwester Hedwig von seinem Tod hörte, hatte sie das starke Gefühl: Jetzt habe ich keinen ältesten Bruder mehr, der für mich da ist. Und sein Bruder Walter sagte, Papa sei für ihn ein selbstverständlicher und unaufdringlicher Begleiter gewesen. – Maria erzählte, dass sie mit ihrer Abiturnote so unzufrieden war. Papa setzte sich mit ihr hin und hörte ihre Klagen an. Dann sagte er in seiner feierlichen Art: „Also, ich bin zufrieden.“ Ein Bruder erzählte, wie er oft nicht schlafen konnte und immer wartete, bis Papa mit seinen Holzschlappen um halb 10 die Treppe runter kam. Dann schlüpfte das Kind aus seinem Bett und fing ihn an der großen weißen Treppenhaustüre ab. Sie gingen zusammen in die Küche und tranken Milch und unterhielten sich. Das waren besondere Momente, weil es eine der seltenen Zeiten zu zweit war. Als Mama ihre schwere Herzmuskelentzündung hatte, war Papa mit uns Kindern alleine zu Hause. Gerhard erinnert sich, wie wir alle am Klavier saßen und gemeinsam „Wir haben einen Felsen“ gesungen haben. Papa hat so schwungvoll gespielt wie immer. Aber es war auch klar, dass das etwas Ernstes bei Mama ist und Papa wohl befürchtete, dass er mit der Kinderschar alleine zurück blieben könnte. Gerhard hat gespürt, dass es hier um viel Gottvertrauen und um eine ganz heikle Situation ging. Davor hat Gott uns bewahrt. Wir alle haben schöne Erinnerungen daran, wie Mama uns mit Liedern und Gebet ins Bett brachte; wenn Papa dabei war, sprach er noch den Segen und legte die Hand auf unsere Köpfe. Doch immer wieder blieb die eine oder der andere von uns schlaflos: und dann konnten wir zu Papa ins Studierzimmer gehen, wo er und Mama noch Bach hörten und zusammen lasen oder arbeiteten. Martin erzählte, wie ihn mit Ende der Kindheit das große Elend überkam und er sich nachts zu Mama und Papa ins Studierzimmer schlich. Da sagte er weinend, wie traurig es doch ist, dass die Zeit vorbei geht; alles geht vorbei, der Urlaub, alle schönen Momente. Da war es Papa, der ihn auf den Schoß nahm und fragte: Ja, und was kommt dann ganz am Ende? – Der Tod. – Ja, und dann beginnt ein großes Hochzeitsfest im Himmel. Martin war noch nie auf einer Hochzeit; und Papa erklärte ihm, Hochzeit sei wie Weihnachten, nur noch schöner. Und tatsächlich verging mit der Angst vor dem Tod auch die Trauer darüber, dass alles vorbei geht. Ganz ruhig ist das Kind auf dem Sofa im Studierzimmer eingeschlafen. Auch Maria hat Erinnerungen an dieses Sofa im Studierzimmer. Als sie einmal dort schlafen durfte, sagte sie, dass die Wanduhr so laut tickt (Papa hatte ja diese Vorliebe für geräuschstarke Uhren). Papa meinte zu ihr, dass ihm das so gut gefällt, weil ihn jede Sekunde näher an die Ewigkeit bringt.
Schluss
Die Angst vor dem Tod auch die Trauer darüber, dass alles vorbei geht ... Tod und Leben, Engel und Mächte und Gewalten, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Hohes und Tiefes ... All das, liebe Freunde, was Paulus auffährt, das könnte unserem Vertrauen gefährlich werden. Das Hohe mit aller Herrlichkeit, das Tiefe mit aller Schwere, das Gegenwärtige mit aller Last dessen, was sich aufgehäuft hat. Und die Angst vor der Zukunft, das Leben mit allem, was brutto dazu gehört. Ihr habt, liebe Johanna, liebe Geschwister in den vergangenen Jahren erlebt, wie es viele Menschen erleben, dass Krankheit so einschneidend ein Leben verändern kann. Dass die Träume der Nacht zur Last werden, dass Medikamente, die zur Ruhe führen sollen, Ängste hervorrufen. Dass die Orientierung nicht mehr da ist. Dass „der Parkinson“, einer Person fast gleich, ein Mitbewohner im Haus wurde, es mit sich brachte, dass sich die Erinnerung verliert. Solches Erleben, das ist wie Mächte und Gewalten – man kann sich ihm gegenüber nicht erwehren. Aber ihr habt in dieser Zeit Hilfe erlebt. Ihr habt sie aneinander selbst erlebt und euch geholfen und beigestanden; und jeder hat nach Kräften beigetragen, was er oder sie konnte – besonders dein liebevolles und wunderbares Helfen und deine Geduld, liebe Maria, soll genannt werden. Du bist deinen Eltern und deinem Papa insbesondere ein Segen geworden – hab vielen Dank dafür. Und ihr habt wunderbare Schwestern der Diakonie erlebt und Ärztinnen und Ärzte, die euch beistanden. Das ist Grund zur Dankbarkeit. Die Abende in Altenriet und Pliezhausen endeten oft im Salon. Bei anderen Menschen heißt das Wohnzimmer. Da gab es großes Erzählen bei Punsch und Wein und Schokolade und Kerzenschein. Und immer, wenn es am Schönsten war, schaltete Karl die Deckenlichter dann, die flutlichtgleich die schöne Atmosphäre zu Ende brachten. Jetzt war es genug; ich lese noch einen Vers. Und manchmal las er den Vers gar nicht, sondern sagte ihn – wie so vieles – aus dem Herzen auf: Weil denn weder Ziel noch Ende sich in Gottes Liebe find't, ei so heb ich meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind, bitte, wollst mir Gnade geben, dich aus aller meiner Macht zu umfangen Tag und Nacht hier in meinem ganzen Leben, bis ich dich nach dieser Zeit lob und lieb in Ewigkeit. Das Vertrauen, dass ein Mensch haben kann, der zu Gott sagt, ei so heb ich meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind, dieses Vertrauen legt einen Anker im Herzen. Es kommen Stürme der Nacht. Es kommt all das, vom dem Paulus redet. Tod und Leben, Engel und Mächte und Gewalten, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Hohes und Tiefes ... Es kommen Tage der Sorge und Nächte der Angst. Es kommen Stürme auf; aber der Anker ist fest gesetzt: ei so heb ich meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. In diesem Vertrauen hat Karl Ebinger gelebt und hat so gelebt, dass er das Vertrauen für sich und für andere gemehrt hat. In diesem Vertrauen hat er auch gelebt, als er krank wurde und die Krankheit alles veränderte. In diesem Vertrauen konnte er auch loslassen und gehen: bis ich dich nach dieser Zeit lob und lieb in Ewigkeit. Und dieses Vertrauen nehmen wir auf als ein Geschenk, für das wir dankbar sind. Amen
Pfarrer Andreas Klein, Frankfurt am Main
Meine stichwortartigen Erinnerungen zur Biografie meines Vaters und Versuch, sie einzuordnen
Mein Vater war ursprünglich ein Alt-Pietist, ging aber seit seiner Dörnacher Zeit in die dort allein vorhandene Hahn'sche Gemeinschaft. Ich ordne das so ein, nachdem ich mich als sein Sohn viel auseinandergesetzt habe mit diesem Schwäbischen Pietismus und auch davon abgesondert. Ich wählte deswegen im Geschichte-Studium auch als ein Examensthema Kirchengeschichte der Orden. Denn ich sehe diese pietistischen Gemeinschaften in einer Linie mit den alttestamentlichen Propheten und den mittelalterlichen Mönchsorden (als mystische – Stichwort persönlicher, erlebbarer Glaube statt äußerlichem, bürgerlichem Ritual – also als mystische Gegenbewegung zur Amts- und Priesterkirche, darin auch Fortsetzung der Reformation, siehe auch Tersteegens und Zinzendorfs Anknüpfung an die mittelalterliche Mönchs-Mystik). Und da hat mein Vater dazu gehört. Und die Gedächtnisstunde für ihn (auch seine Aussegnung im Sarg) war ein sehr schöner Abschluss seines Lebens im Kreis "seiner Freunde", wie sein Bruder vor ca. einem Jahr nochmal betonte, obwohl er auch nicht dazu gehörte. Aber Papas Vater war auch ein Hahner. Die sind eigentlich die konservativsten und strengsten dieser Orden. Die Brüdertische nannte meine Schwester „all male panel“!
Er hat den Zweiten Weltkrieg noch bewusst erlebt:
Papas Vater war Schlosser in einer Schraubenfabrik, daher "UK gestellt", das heißt, wegen kriegswichtiger Produktion musste er nicht in den Krieg ziehen
War Nebenerwerbs-Landwirt, baute ein Haus mit landwirtschaftlichem Teil
Mein Vater stammt also aus einfachen, bäuerlichen Verhältnissen. Auf seiner Mutterseite gab es in der Verwandtschaft immerhin eine Lehrerin und auch einen Schulleiter
Schwester Hedwig lag als Säugling im Kinderwagen im Garten und wurde von Geschoss-Splittern bedroht, aber bewahrt
Tiefflieger griffen Bauern auf den Feldern an
Umsturz: vor Einnahme seines Heimatdorfes Dettingen / Teck wurde es wegen Gegenwehr und Versteckens von Munition und Wehrmachtssoldaten von amerikanischer Artillerie von Kirchheim her bombardiert
Haus von Papas Großvater im Ortsszentrum bis auf Grundmauern zerstört (berichtete mein Vater mir, wie ein zerstörtes Mofa unter den Trümmern heraus kam)
Sein elterliches Haus blieb unzerstört
Ortsgruppenleiter nahm sich das Leben in Gartenhütte
Amerikaner campierten in Zelten auf den Feldern und gaben ihnen Schokolade
Jugend
Nach den Nazi-Erlebnissen, zu deren Ideologie auch Teile seiner Verwandtschaft hatten wie fast alle sich hineinziehen lassen (Hölz-Onkel war Flieger), entwickelte mein Vater eine große Liebe zu Israel. Kein Gebet in der Stunde verging, wo er nicht extra für den Schutz Israels betete. Er machte auch einige Israel-Reisen.
Bekam noch das Dorfleben mit, wie es das dann später nicht mehr gab
Durch den Nazi-Krieg war Deutschland verarmt und zurück geblieben, durch Adenauers konservative Regierung blieben auch die gesellschaftlichen Verhältnisse wie in alten Tagen, patriarchalisch, traditionell
Mein Vater konnte uns viel erzählen von seiner Jugend: wie geschlachtet wurde, wie fast alles selber erzeugt wurde, sie hatten zwei Kühe, die auch den Wagen zogen, Schweine, Hühner, einen riesigen Gemüsegarten, in der Obstbaugegend am Fuß der Teck wurden viele Kirschen geerntet, Pflaumen, Réné-Claude-en, Speise- und Most-Äpfel, die Moste lag am Ende der Straße, wo mein Vater aufwuchs (Bissinger Straße)
Mein Vater konnte alles reparieren, war sehr praktisch und sparsam (krumme Nägel wurden glatt geklopft und wieder verwendet, möglichst nichts wurde gekauft)
Im eigenen Wald wurde Holz gemacht, gespalten, zuhause verfeuert
Er erlebte noch Dorfhandwerker jeder Art: Schmiede, Schuhmacher, Sattler, Schreiner, brachte Kuchen zum Backen zum Dorfbäcker
Zeigte uns als Kinder die Kuhställe, die zur Hauptstraße hin tagsüber offen waren (70er Jahre)
Man war mit allen per du
Verwandtschaft lebte zusammen fast in einer Straße
Papas Vater hatte ein Motorrad, mit dem er einmal mit Freunden nach München fuhr ins Hofbräuhaus
Papas Vater besaß nie ein Auto
In den Wirtschaftswunderjahren kaufte Papas Vater sich zusammen mit zwei Brüdern, ebenfalls Nebenerwerbslandwirten, einen "Bulldog" = Traktor
Mit dem sind wir Kinder auch mitgefahren, wir haben auch vereinzelt noch mitgeholfen im Wald oder "in den Kirschen", oder im Herbst beim Most-Obst auflesen in schweren Zentner-Säcken
Schule und Glaube
Kürzlich bei einer Autofahrt durch Owen und Dettingen zeigte mir Papa noch bei der Dettinger Kirche die alte Dorfschule. Im Erdgeschoss an der Straße sei sein erstes Klassenzimmer gewesen.
Er war wohl ein sehr guter Schüler, kam nach Kirchheim aufs Gymnasium, wo er mit dem Zug hinfuhr
Er sei nicht gefragt worden, sondern am ersten Schultag im Gymnasium einfach dem altsprachlichen Zug zugeteilt worden
Lernte sehr gründlich Latein und Griechisch (vererbte mir seine Unterrichtsmaterialien)
Lernte sehr viele Kirchenlieder auswendig (zeigte mir seine Lerntechnik und sein Auswendig-Lern-Heftchen)
Besuchte die Sonntagsschule der Methodisten gegenüber von seinem Elternhaus
Lernte erfolgreich das Orgelspielen, nahm sich darin Albert Schweitzer zum Vorbild, ebenso wie dessen Liebe zu Johann Sebastians Bachs Musik
Mein Vater besuchte die altpietistische Stunde wie so mancher Dettinger
Geprägt worden scheint er von dem ledigen Stundenbruder Gottlieb Lauxmann (dessen Bild hing ein Leben lang in seinem Studierzimmer, auch seine Basen Inge Hasselbach und Doris Balb, beide geb. Ebinger, haben von dem erzählt, Papa hatte ein Philadelphia-Notenbuch von ihm)
Dazu gehörte auch das "Über-Land-Gehen" zu befreundeten Stunden in anderen Dörfern, vor allem zu sogenannten festlichen Monatsstunden, die mit einer Bewirtung mit Kaffee und Hefekranz endeten
Mein Vater fuhr mit dem Fahrrad zu den Monatsstunden, machte überhaupt viele Radtouren, sein jüngerer Bruder fuhr sogar Radrennen und unternahm eine Weltreise mit dem Rad
Viele Charakterköpfe aus dem einfachen Volk traten in den Stunden auf, bei Monatsstunden lernte man überregional bekannte Brüder kennen, die Brüdertische waren abwechslungsreich besetzt, man begegnete Freunden, lernte neue kennen, suchte sich eine Frau
Onkel Siegfried Kullen betonte, dass mein Vater ein Früh-Entwickler gewesen sei (siehe dessen Nachruf)
Freunde, von denen er oft erzählte: Hermann Kiedaisch, Otto Schaude, Siegfried Kullen, Helmut Raichle
Hat großes Interesse an Bibel und Theologie, kennt die Bibel sehr gut, beschäftigt sich mit Auslegungen und Theologen
Er konnte gut erklären und überzeugte Altersgenossen, in die pietistischen Stunden zu gehen und später auch in die evangel. Lehrergemeinschaft
Er hatte zur Auswahl, auf dem Rathaus zu arbeiten oder als Lehrer, entschied sich fürs letztere (erfuhr ich erst durch die Beerdigungsansprache meines Schwagers mit dem Mittelteil, der Erinnerungen vieler Personen sammelte)
Studienzeit
1960 starb seine Mutter durch einen schrecklichen Unfall: Sie fiel in der elterlichen Scheuer durch das Garbenloch von ganz oben nach unten
Überlebte noch drei Tage im Kirchheimer Krankenhaus und erlag dann einer Lungenentzündung (?)
Studierte "Volksschul-Lehrer" (Volksschule = acht Jahrgangsstufen) am Pädagogischen Institut (später PH) in Esslingen
Liebte Esslingen sein Leben lang
Wohnte in einem CVJM-Wohnheim (?)
Fuhr am Wochenende heim per Zug, legte sich aber bald einen Kabinenroller zu
Es gab Übungsräume mit kleinen Orgeln
Es gab Studentenmittagstisch mit Tischgebet
Er erlebte noch eine konfessionelle Ausbildung als evangelischer Dorfschullehrer, der später auch den Kirchenchor leiten und die Dorforgel spielen konnte und die Dorfjugend unterwies im evangelischen Glauben mit Liedern und Unterricht
Berufsleben und Hochzeit in den Wirtschaftswunder- und 68er Jahren
Schorndorf, Kaisersbach im Welzheimer Wald (Praktikum) waren seine ersten Stationen
Mein Vater war konservativ in gesellschaftlichen Dingen, aber modern in technischen Dingen
Kaufte sich mehrere Autos, landete schließlich bei einem VW-Käfer
Die Hahn'sche Gemeinschaft hatte so viel Einfluss, dass sie in der Gegend um Pliezhausen, Dörnach, Gniebel Bürgermeister stellte (Karl Hiller zum Beispiel) und auch Einfluss auf die Besetzung der Dorf-Lehrer-Stellen hatte (Lehrer Meyer in Pliezhausen z.B., in dessen Haus mein Vater seinen Ruhestand verbrachte)
Mein Vater löste eine Hahnische Fräulein Heinrich ab, die sich einen frommen Nachfolger wünschte, er wurde über die Hahn'sche Gemeinschaft vermittelt (siehe Ansprache an seiner Beerdigung)
Wohnte in der Dörnacher Schule = Rathaus mit Holzofen und vier Jahrgängen pro Klasse
Lernte seine spätere Frau Johanna kennen bei einer alt-pietistischen Monats-Stunde im Hülbener Kullen-Schulhaus
Die schenkte da hinterher Kaffee aus
Mein Vater hatte sich mit ihrer Kullen-Busch-Verwandtschaft bereits beschäftigt
Warb heftig um sie mit Briefen
Bekam vom Bürgermeister Hiller die Erlaubnis, das Telefon des Dörnacher Rathauses zwecks Kontakt-Halten zu benutzen!
Heiratete 1967 in Hülben, wo meine Mutter Kinder-Heim-Leiterin war und Besitzerin eines VW-Käfers
Meine Eltern mieteten ein kleines, neu gebautes Haus in Dörnach
Mein Vater erlebte die Einweihung der modern gebauten, zeitgemäßen, hellen, weitläufigen, auf der grünen Wiese liegenden Grundschule Gniebel, in der er auch einige Jahre unterrichtete (Bildungsexpansion der späten 60er)
Der dortige junge Schulleiter Kleppel (?) ist auf dem Hochzeitsvideo zu sehen, wie er mit den Schulkindern vor der Hülbener Kirche Spalier steht und singt
Gesellschaftlicher Wandel: Die Motorisierung, der neue Wohlstand führte dazu, dass Supermärkte aufkamen. Alles war billiger und besser dort zu bekommen, Dorf-Handwerker, Dorf-Läden und Nebenerwerbslandwirte gingen stark zurück, Urlaubsreisen in andere Länder, vor allem aber auch Radio und Fernsehen, aber auch die großen Neubaugebiete veränderten das traditionelle Dorfleben, mehr Industriearbeit (Daimler in Sindelfingen), mehr Umzüge, konfessionelle Prägung als evangelisches Dorf gingen durch Vermischung der Konfessionen und Säkularisierung zurück, Gastarbeiter aus Italien und der Türkei bewohnten zunehmend die älteren Häuser in den Dorfzentren, die patriarchalische Gesellschaftsstruktur der Dörfer löste sich auf, immer mehr junge Menschen gingen aufs Gymnasium und studierten und verließen die traditionellen sozialen Umfelder und Berufsfelder ihrer Eltern.
Die evangelische, traditionelle Volksschule endete nicht mehr mit der Konfirmation, nach der man dann "in die Lehre" ging, sondern die achtjährige Volksschule (6.--14. Lebensjahr) wurde reformiert zu einer vierjährigen, nicht mehr konfessionellen Grundschule plus fünfjähriger Hauptschule, so dass der Abschluss erst nach neun Jahren war. Auch das Schuljahresende war nicht mehr an Ostern (Zeit der Konfirmationen), sondern jetzt im Sommer. Es gab ein Kurzschuljahr (wann genau?).
Die nun aufkommenden Schulgesetze (Baden-Württembergisches Schulgesetz: 1974) ermöglichten -- wegen des Wegfalls der traditionell evangelischen Dorfschulen -- als Ausgleich die Einrichtung konfessioneller Schulen. Papas Freund Otto Schaude ergriff die Gelegenheit beim Schopf und gründete die Freie Evangelische Schule Reutlingen, die Vorbild für immer noch mehr werdende solche FES wurde. Papa aber, frisch verheiratet, Schulleiter im Dorfschulhaus mit wachsender Kinderschar, der früher so dominant und einflussreich war auf Leute wie Otto Schaude (siehe auf der Internetseite johannaebinger.weebly.com unter "Rundbriefe" zum Tod von Otto Schaude unter dem 16.11.2016 und seine Erinnerung an Papas Zuspruch in seiner Jugend), blieb nun ruhig und zurückhaltend, machte alles weiter, wie er es als konfessionell ausgebildeter Dorfschullehrer gelernt hatte. Geistig-weltanschaulich hielt er also am Alten fest.
Aber technisch gesehen, erlebte meine Vater diese neue Zeit aktiv und genoss es: Er fuhr mit seinem Auto viel in die umliegenden Städte Nürtingen und Reutlingen und nutzte dort die aufkommenden Kopier-Läden für seine Schul-Materialien, kaufte neue Medien (Matrizen-Brenner, verbesserte Umdrucker, seine Schule hatte sehr früh einen Fotokopierer, Tageslichtprojektoren, er baute die kippbaren Leinwände selber in die Klassenzimmer!), er kaufte auch ein Gerät, das aus Büchern direkt Bilder an die Wand werfen konnte, kaufte in der Stadt beim Spezialisten Bosch-Ersatzteile für Küchengeräte z.B., vor allem aber ging er viel zu Supermärkten und Lebensmittel-Großhändlern, z.B. Geska in Reutlingen-Betzingen, nutzte die Kreisbildstelle.
Familienleben im Altenrieter Schulhaus 1970--2004 als Dorfschulmeister
Diesen gesellschaftlichen Wandel bekam mein Vater durch eine Beförderung zum Schulleiter mit. Er wechselte ins Nachbardorf Altenriet, was allerdings in einem anderen Regierungsbezirk lag. Er kam dadurch aber seiner alten Heimat näher und wohnte nun im Landkreis Esslingen, dem Landkreis seines Studienortes (nach der Landkreis-Reform war der Landkreis Nürtingen aufgelöst). Jetzt gab es keine Klassen mehr mit mehreren Jahrgängen in einem Zimmer, sondern mein Vater fand sich plötzlich an einer reinen Grundschule wieder. Da das sehr große und schöne Altenrieter Gründerzeit-Schulgebäude (die beiden Lehrerswohnungen waren schön, aber vom Standard in den 34 Jahren dann veraltet, die Zentralheizung funktionierte anfangs wohl teilweise nicht richtig) aber nur drei Klassenzimmer besaß, musste immer eine der vier Grundschulklassen in den Nachbarort Schlaitdorf per Bus (Motorisierung war schon längst so weit fortgeschritten, dass es Buslinien gab). Das war auch der Ort, der einen Pfarrer hatte und Altenriet immer ein wenig voraus war. Diese Zurücksetzung gegenüber dem Nachbarort, die auch ein geringeres Gehalt für meinen Vater bedeutete, machte ihm überhaupt nichts aus. Sogar seine eigenen Kinder mussten ihre Grundschulzeit teilweise im Nachbarort verbringen. Zum dortigen Schulleiter und seiner Frau hatte er immer ein gutes Verhältnis.
Ich selber hab die erste Klasse bei meinem Vater besucht! Er brachte mir Lesen, Schreiben und Rechnen bei! Wie schön!
Am Ende des Jahrtausends erweiterte mein Vater allerdings durch einen Anbau das Schulgebäude, so dass er in seinen letzten Jahren eine vollständige Grundschule mit Neubau führte und auch alle Gehaltszurücksetzungen aufgehoben waren.
Innerhalb weniger Jahre zog mein Vater (wohl eher meine Mutter plus zeitweise Haushaltspraktikantin) viele Kinder auf. Mietete die zweite Lehrerwohnung oben im Schulhaus schnell dazu (die nette Fam. Vohrer zog aus). Wir erlebten eine Dorf-Idylle, hatten Blick auf die Schwäbische Alb, Platz ums Haus zum Spielen, in den Ferien durften wir sogar teilweise die Klassenzimmer nutzen! Ein Paradies, der Vater war immer da für uns, die Mutter sowieso.
In Altenriet gab es nur eine Hahn'sche Gemeinschaft (also keinen CVJM oder Altpietisten oder einen Brüderbund), also gingen meine Eltern da hin, mein Vater leitete diese Gemeinschaft all die Altenrieter Jahre mit großer Ausdauer und gelegentlichen Auswendiglern-Aktionen (Bibel-Memory), freundeten sich mit den hilfsbereiten Leuten des Stundenhauses an (Tante Gerlinde Teil der Familie)
Putzfrau Frau Pfleger auch Teil der Familie
Familie Bauer aus der Stunde eng mit uns verbunden
Frau Stock, Frau Thüringer in der Stunde, Ehepaar Weiß (urspr. bessarabische Vertriebene) enge Weggenossen in der Stunde, Besuch der Monatsstunden, Bezirks- und andere Stunden-Brüder-Besuche aus Neckartailfingen, Neckartenzlingen, Degerschlacht (Familie Heim), Reise-Bruder Stepper (dessen Sohn später in Pliezhausen der Pfarrer beim Tod meines Vaters)
Mein Vater lebte hier also seine konservative Seite aus: Er sang mit seinen Schülern die evangelischen Kirchenlieder am Klavier im Klassenzimmer, prägte die Schule trotz der zwei anderen, katholischen Lehrer konfessionell evangelisch, spielte die Orgel in der Kirche, leitete den evangelischen Kirchenchor, war im Kirchengemeinderat, war der Stundenleiter
Es war auch lange nach 1968 und nach allen Reformen in Altenriet so, als wäre die Zeit stehen geblieben -- romantische Dorfschule
Er war gewählter Abgeordneter in der Evangelischen Landessynode in Stuttgart (Kirchenparlament) sowie in der Bezirkssynode in Nürtingen für "Lebendige Gemeinde" (Konservativer Gesprächskreis -- erzählte uns viel von Charakterköpfen da: Walter Tlach, Scheffbuchs, Dekan Holland ...)
Freunde aus der Zeit: Der Schlaitdorfer Pfarrer Wolfgang Miller (später auch der spätere Pfarrer Schwarz), Ruhestandspfarrers-Ehepaar Häfner, Herr Theo Rehm aus Neckartailfingen, Dekan Braun
Er machte mit Pfr. Miller und Siegfreid Kullen Bibel-Schmuggel-Fahrten ins kommunistische Rumänien, unterstützte das Missionswerk Licht im Osten
Er baute das Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen mit auf, eine kirchenpolitisch eher konservative Aktion gegen das politisch eher linke, sozusagen verweltlichte Evangelische Stift in Tübingen (68er Revolution, "atomwaffenfreie Zone" bis weit in die 90er), war dort jahrelang in Gremien tätig
Er wollte eigentlich nie in Urlaub fahren
Wir waren daher nur bei der Oma auf der Schwäbischen Alb in Urlaub zunächst
Später dann innerhalb Baden-Württembergs nach dem Vorbild des Schwagers Gustav Fuchs (Langenburg, Rührberg, Kappelrodeck)
Dann auch an den Oberitalienischen Seen dank des Schweizer Vereins "Christliche Familienherbergen"
Hier entwickelte mein Vater eine große Neugier, bereitete die Urlaube -- die später auch in andern Ländern waren (Schweiz, Slowakei, Norddeutschland) – sorgfältig vor und zeigte uns viel von Italien (Venedig, Mailand, Turin, Florenz, Rom), aber auch die Schweizer Kunstmuseen, oder die in München, Frankfurt, zeigte uns Prag, Hamburg, die Niederlande etc. Er ließ sich frühzeitig von den Fremdenverkehrsämtern Prospekte kommen und bereitete dann große Besichtigungsfahrten vor.
Die Eltern beschäftigten sich geistig viel mit pietistischen Pädagogik-Traditionen: Oberlin im Steintal, Gustav Werner, St. Chrischona mit Spittler, Francke
Hier verfasst mein Vater auch Artikel im Lehrerboten bzw. ein Kapitel in einem Pädagogik-Buch (Karl Ebinger: "Die Kullen", in: Dieter Velten (Hg.): Glauben -- Lehren -- Erziehen. Pädagogen und pädagogische Konzepte im Pietismus. Gießen / Basel: Brunnen, Dillenburg: Gnadauer, 1988, Seiten 123--143)
Sie nahmen sich die Dorflehrer-Kullen-Tradition von Hülben als Vorbild
Das dortige Schulhaus hatte über mehrere Dorflehrer-Generationen und über die altpietistische Stunde das Dorf geprägt
Dieses Ideal schwebte meinen Eltern vor auch für Altenriet
Sie erfüllten es mit Leben, so weit es in der modernen, säkularen, industrialisierten Zeit möglich war
Fernsehen lehnten meine Eltern ab (außer während der Fußball-WM)
Sie waren dabei sehr standhaft und konsequent
Immer noch vom Krieg geprägt, wo es in der Familie meiner Mutter galt, mutig gegen den Strom der Nazi-Zeit zu schwimmen, wurden wir erzogen, mutig gegen die Strömungen der "modernen" Zeit zu schwimmen
Irgendwann wuchsen wir zahlreichen Kinder dann meinen Eltern über den Kopf und zogen weg zum Studieren
Der Brüderbund und der Posaunenchor in Schlaitdorf, der CVJM in Walddorf, die Jugendarbeit in Neckartenzlingen, das Gymnasium in Neckartenzlingen halfen uns hier beim Erwachsenwerden und Loslösen und Finden eigener Wege in den Glauben
Unser Vater unterstützte uns dabei nach Kräften, lieh uns sein Auto, kaufte zusätzliche Autos, gab uns Geld
Er machte selber eine Zeit lang Jungschar (Gitarre, Flanell-Bilder, auch meine Mutter zeichnete sich als Erzählerin aus an einer Art Flipchart, wo sie Kindern, die auf Besuch waren, zum Beispiel den "Sünden-Boppel" erzählte -- sehr eindrücklich mir bis heute die bebilderte Version von John Bunyans Pilgerreise), später unterstützte unser Vater uns, eine eigene Jugendarbeit anzufangen und durchzuführen
Mir persönlich besorgte er zwei Studentenzimmer in Tübingen über seine zahlreichen pietistischen Freunde
Auffällig: a) Große Gastfreundschaft im Schulhaus Altenriet, Gastzimmer, Obdachloser Herr Fesel bekam unten was zu essen, regelmäßige Tischgäste (Vikare, Auszubildende ...), Familienfeste, Besuchskultur
b) Liebe Leute aus dem Dorf legten dem Dorfschulmeister ziemlich oft Salat und Gemüse aus ihren Gärten an unsere Haustür, anonym, ich denke zum Beispiel gern an den Altenrieter Ackersalat; an Weihnachten spendierte die Gemeinde einen Christbaum -- das war toll
Ruhestand in Pliezhausen
Weiter Mitarbeit in Kirchengemeinde (Orgeldienst -- später nur dessen Organisation, Besuchsdienst, Gebetsgemeinschaft sonntags, Mitarbeit bei einer Zeltmission) und Stunde (Wohnen im Stundenhaus)
Hahn'sche Gemeinschaft stellt Haus zur Verfügung, die Papa ursprünglich ja auch nach Dörnach geholt hatte
Er las in den letzten Urlauben, die ich mit ihm weg war, und auch sonst Bibelkommentare, bereitete seine Bibelstunden vor. Auch las er in den letzten Jahren sehr gern die Jesus-Trilogie von Papst Benedikt XVI.
Mein Vater spielte bis fast zum Schluss Choräle auf dem Klavier, räumte immer noch die Geschirrspülmaschine ein, fegte einmal den Gang. Von meiner Mutter und Zwillingsschwester erfuhr ich, dass er sich oft und wiederholt in seinen letzten Lebenswochen ein selbst ausgewähltes Kapitel vorlesen ließ aus: Hans-Dieter Frauer: Das schwäbische Paradies. Geschichten zur Geschichte – Pietismus in Württemberg. Marburg: Francke, 2009. Meiner Zwillingsschwester Maria berichtete mein Vater auch von einem Traum in seinen letzten Monaten, der die Hahn`sche Gemeinschaft betraf, zu der er so lange gehört hat: Im Traum verlud mein Vater einen Holz-Stapel hinter dem Stundenhaus zusammen mit einem örtlichen Stundenbruder. Plötzlich kam zwischen den Holzscheiten ein Zettel heraus. Darauf stand, dass in der Stunde am Brüdertisch auch Frauen die Bibel auslegen sollten. Teilweise habe das die Stunde sogar umgesetzt, erzählte meine Schwester. (Dazu der Prophet Joel 3,1: Eure Alten sollen Träume haben.)
Hobbys (zusammen mit meiner Mutter): Bachmusik, Plattensammlung (meine Mutter besuchte in ihrer Tübinger Zeit z.B. gern die Bachmotetten in der Stiftskirche), antike Möbel (vor allem Sekretäre), kleinere Perserteppiche (sog. Brücken), Kunstmuseen, z.B. auch Isenheimer Altar Colmar, Cembalos, Orgelbau, Baden im Thermalbad Urach oder Beuren (denn mein Vater litt zeitenweise an Ischias, hatte starke Rückenschmerzen), er ging mit uns Kindern samstags öfter ins Nürtinger Hallenbad, wo wir alle das Schwimmen bei ihm lernten, Genealogie (Familien-Stammbäume erforschen)
31.3.2018 (Ostern) – Christian Ebinger
Mein Vater war ursprünglich ein Alt-Pietist, ging aber seit seiner Dörnacher Zeit in die dort allein vorhandene Hahn'sche Gemeinschaft. Ich ordne das so ein, nachdem ich mich als sein Sohn viel auseinandergesetzt habe mit diesem Schwäbischen Pietismus und auch davon abgesondert. Ich wählte deswegen im Geschichte-Studium auch als ein Examensthema Kirchengeschichte der Orden. Denn ich sehe diese pietistischen Gemeinschaften in einer Linie mit den alttestamentlichen Propheten und den mittelalterlichen Mönchsorden (als mystische – Stichwort persönlicher, erlebbarer Glaube statt äußerlichem, bürgerlichem Ritual – also als mystische Gegenbewegung zur Amts- und Priesterkirche, darin auch Fortsetzung der Reformation, siehe auch Tersteegens und Zinzendorfs Anknüpfung an die mittelalterliche Mönchs-Mystik). Und da hat mein Vater dazu gehört. Und die Gedächtnisstunde für ihn (auch seine Aussegnung im Sarg) war ein sehr schöner Abschluss seines Lebens im Kreis "seiner Freunde", wie sein Bruder vor ca. einem Jahr nochmal betonte, obwohl er auch nicht dazu gehörte. Aber Papas Vater war auch ein Hahner. Die sind eigentlich die konservativsten und strengsten dieser Orden. Die Brüdertische nannte meine Schwester „all male panel“!
Er hat den Zweiten Weltkrieg noch bewusst erlebt:
Papas Vater war Schlosser in einer Schraubenfabrik, daher "UK gestellt", das heißt, wegen kriegswichtiger Produktion musste er nicht in den Krieg ziehen
War Nebenerwerbs-Landwirt, baute ein Haus mit landwirtschaftlichem Teil
Mein Vater stammt also aus einfachen, bäuerlichen Verhältnissen. Auf seiner Mutterseite gab es in der Verwandtschaft immerhin eine Lehrerin und auch einen Schulleiter
Schwester Hedwig lag als Säugling im Kinderwagen im Garten und wurde von Geschoss-Splittern bedroht, aber bewahrt
Tiefflieger griffen Bauern auf den Feldern an
Umsturz: vor Einnahme seines Heimatdorfes Dettingen / Teck wurde es wegen Gegenwehr und Versteckens von Munition und Wehrmachtssoldaten von amerikanischer Artillerie von Kirchheim her bombardiert
Haus von Papas Großvater im Ortsszentrum bis auf Grundmauern zerstört (berichtete mein Vater mir, wie ein zerstörtes Mofa unter den Trümmern heraus kam)
Sein elterliches Haus blieb unzerstört
Ortsgruppenleiter nahm sich das Leben in Gartenhütte
Amerikaner campierten in Zelten auf den Feldern und gaben ihnen Schokolade
Jugend
Nach den Nazi-Erlebnissen, zu deren Ideologie auch Teile seiner Verwandtschaft hatten wie fast alle sich hineinziehen lassen (Hölz-Onkel war Flieger), entwickelte mein Vater eine große Liebe zu Israel. Kein Gebet in der Stunde verging, wo er nicht extra für den Schutz Israels betete. Er machte auch einige Israel-Reisen.
Bekam noch das Dorfleben mit, wie es das dann später nicht mehr gab
Durch den Nazi-Krieg war Deutschland verarmt und zurück geblieben, durch Adenauers konservative Regierung blieben auch die gesellschaftlichen Verhältnisse wie in alten Tagen, patriarchalisch, traditionell
Mein Vater konnte uns viel erzählen von seiner Jugend: wie geschlachtet wurde, wie fast alles selber erzeugt wurde, sie hatten zwei Kühe, die auch den Wagen zogen, Schweine, Hühner, einen riesigen Gemüsegarten, in der Obstbaugegend am Fuß der Teck wurden viele Kirschen geerntet, Pflaumen, Réné-Claude-en, Speise- und Most-Äpfel, die Moste lag am Ende der Straße, wo mein Vater aufwuchs (Bissinger Straße)
Mein Vater konnte alles reparieren, war sehr praktisch und sparsam (krumme Nägel wurden glatt geklopft und wieder verwendet, möglichst nichts wurde gekauft)
Im eigenen Wald wurde Holz gemacht, gespalten, zuhause verfeuert
Er erlebte noch Dorfhandwerker jeder Art: Schmiede, Schuhmacher, Sattler, Schreiner, brachte Kuchen zum Backen zum Dorfbäcker
Zeigte uns als Kinder die Kuhställe, die zur Hauptstraße hin tagsüber offen waren (70er Jahre)
Man war mit allen per du
Verwandtschaft lebte zusammen fast in einer Straße
Papas Vater hatte ein Motorrad, mit dem er einmal mit Freunden nach München fuhr ins Hofbräuhaus
Papas Vater besaß nie ein Auto
In den Wirtschaftswunderjahren kaufte Papas Vater sich zusammen mit zwei Brüdern, ebenfalls Nebenerwerbslandwirten, einen "Bulldog" = Traktor
Mit dem sind wir Kinder auch mitgefahren, wir haben auch vereinzelt noch mitgeholfen im Wald oder "in den Kirschen", oder im Herbst beim Most-Obst auflesen in schweren Zentner-Säcken
Schule und Glaube
Kürzlich bei einer Autofahrt durch Owen und Dettingen zeigte mir Papa noch bei der Dettinger Kirche die alte Dorfschule. Im Erdgeschoss an der Straße sei sein erstes Klassenzimmer gewesen.
Er war wohl ein sehr guter Schüler, kam nach Kirchheim aufs Gymnasium, wo er mit dem Zug hinfuhr
Er sei nicht gefragt worden, sondern am ersten Schultag im Gymnasium einfach dem altsprachlichen Zug zugeteilt worden
Lernte sehr gründlich Latein und Griechisch (vererbte mir seine Unterrichtsmaterialien)
Lernte sehr viele Kirchenlieder auswendig (zeigte mir seine Lerntechnik und sein Auswendig-Lern-Heftchen)
Besuchte die Sonntagsschule der Methodisten gegenüber von seinem Elternhaus
Lernte erfolgreich das Orgelspielen, nahm sich darin Albert Schweitzer zum Vorbild, ebenso wie dessen Liebe zu Johann Sebastians Bachs Musik
Mein Vater besuchte die altpietistische Stunde wie so mancher Dettinger
Geprägt worden scheint er von dem ledigen Stundenbruder Gottlieb Lauxmann (dessen Bild hing ein Leben lang in seinem Studierzimmer, auch seine Basen Inge Hasselbach und Doris Balb, beide geb. Ebinger, haben von dem erzählt, Papa hatte ein Philadelphia-Notenbuch von ihm)
Dazu gehörte auch das "Über-Land-Gehen" zu befreundeten Stunden in anderen Dörfern, vor allem zu sogenannten festlichen Monatsstunden, die mit einer Bewirtung mit Kaffee und Hefekranz endeten
Mein Vater fuhr mit dem Fahrrad zu den Monatsstunden, machte überhaupt viele Radtouren, sein jüngerer Bruder fuhr sogar Radrennen und unternahm eine Weltreise mit dem Rad
Viele Charakterköpfe aus dem einfachen Volk traten in den Stunden auf, bei Monatsstunden lernte man überregional bekannte Brüder kennen, die Brüdertische waren abwechslungsreich besetzt, man begegnete Freunden, lernte neue kennen, suchte sich eine Frau
Onkel Siegfried Kullen betonte, dass mein Vater ein Früh-Entwickler gewesen sei (siehe dessen Nachruf)
Freunde, von denen er oft erzählte: Hermann Kiedaisch, Otto Schaude, Siegfried Kullen, Helmut Raichle
Hat großes Interesse an Bibel und Theologie, kennt die Bibel sehr gut, beschäftigt sich mit Auslegungen und Theologen
Er konnte gut erklären und überzeugte Altersgenossen, in die pietistischen Stunden zu gehen und später auch in die evangel. Lehrergemeinschaft
Er hatte zur Auswahl, auf dem Rathaus zu arbeiten oder als Lehrer, entschied sich fürs letztere (erfuhr ich erst durch die Beerdigungsansprache meines Schwagers mit dem Mittelteil, der Erinnerungen vieler Personen sammelte)
Studienzeit
1960 starb seine Mutter durch einen schrecklichen Unfall: Sie fiel in der elterlichen Scheuer durch das Garbenloch von ganz oben nach unten
Überlebte noch drei Tage im Kirchheimer Krankenhaus und erlag dann einer Lungenentzündung (?)
Studierte "Volksschul-Lehrer" (Volksschule = acht Jahrgangsstufen) am Pädagogischen Institut (später PH) in Esslingen
Liebte Esslingen sein Leben lang
Wohnte in einem CVJM-Wohnheim (?)
Fuhr am Wochenende heim per Zug, legte sich aber bald einen Kabinenroller zu
Es gab Übungsräume mit kleinen Orgeln
Es gab Studentenmittagstisch mit Tischgebet
Er erlebte noch eine konfessionelle Ausbildung als evangelischer Dorfschullehrer, der später auch den Kirchenchor leiten und die Dorforgel spielen konnte und die Dorfjugend unterwies im evangelischen Glauben mit Liedern und Unterricht
Berufsleben und Hochzeit in den Wirtschaftswunder- und 68er Jahren
Schorndorf, Kaisersbach im Welzheimer Wald (Praktikum) waren seine ersten Stationen
Mein Vater war konservativ in gesellschaftlichen Dingen, aber modern in technischen Dingen
Kaufte sich mehrere Autos, landete schließlich bei einem VW-Käfer
Die Hahn'sche Gemeinschaft hatte so viel Einfluss, dass sie in der Gegend um Pliezhausen, Dörnach, Gniebel Bürgermeister stellte (Karl Hiller zum Beispiel) und auch Einfluss auf die Besetzung der Dorf-Lehrer-Stellen hatte (Lehrer Meyer in Pliezhausen z.B., in dessen Haus mein Vater seinen Ruhestand verbrachte)
Mein Vater löste eine Hahnische Fräulein Heinrich ab, die sich einen frommen Nachfolger wünschte, er wurde über die Hahn'sche Gemeinschaft vermittelt (siehe Ansprache an seiner Beerdigung)
Wohnte in der Dörnacher Schule = Rathaus mit Holzofen und vier Jahrgängen pro Klasse
Lernte seine spätere Frau Johanna kennen bei einer alt-pietistischen Monats-Stunde im Hülbener Kullen-Schulhaus
Die schenkte da hinterher Kaffee aus
Mein Vater hatte sich mit ihrer Kullen-Busch-Verwandtschaft bereits beschäftigt
Warb heftig um sie mit Briefen
Bekam vom Bürgermeister Hiller die Erlaubnis, das Telefon des Dörnacher Rathauses zwecks Kontakt-Halten zu benutzen!
Heiratete 1967 in Hülben, wo meine Mutter Kinder-Heim-Leiterin war und Besitzerin eines VW-Käfers
Meine Eltern mieteten ein kleines, neu gebautes Haus in Dörnach
Mein Vater erlebte die Einweihung der modern gebauten, zeitgemäßen, hellen, weitläufigen, auf der grünen Wiese liegenden Grundschule Gniebel, in der er auch einige Jahre unterrichtete (Bildungsexpansion der späten 60er)
Der dortige junge Schulleiter Kleppel (?) ist auf dem Hochzeitsvideo zu sehen, wie er mit den Schulkindern vor der Hülbener Kirche Spalier steht und singt
Gesellschaftlicher Wandel: Die Motorisierung, der neue Wohlstand führte dazu, dass Supermärkte aufkamen. Alles war billiger und besser dort zu bekommen, Dorf-Handwerker, Dorf-Läden und Nebenerwerbslandwirte gingen stark zurück, Urlaubsreisen in andere Länder, vor allem aber auch Radio und Fernsehen, aber auch die großen Neubaugebiete veränderten das traditionelle Dorfleben, mehr Industriearbeit (Daimler in Sindelfingen), mehr Umzüge, konfessionelle Prägung als evangelisches Dorf gingen durch Vermischung der Konfessionen und Säkularisierung zurück, Gastarbeiter aus Italien und der Türkei bewohnten zunehmend die älteren Häuser in den Dorfzentren, die patriarchalische Gesellschaftsstruktur der Dörfer löste sich auf, immer mehr junge Menschen gingen aufs Gymnasium und studierten und verließen die traditionellen sozialen Umfelder und Berufsfelder ihrer Eltern.
Die evangelische, traditionelle Volksschule endete nicht mehr mit der Konfirmation, nach der man dann "in die Lehre" ging, sondern die achtjährige Volksschule (6.--14. Lebensjahr) wurde reformiert zu einer vierjährigen, nicht mehr konfessionellen Grundschule plus fünfjähriger Hauptschule, so dass der Abschluss erst nach neun Jahren war. Auch das Schuljahresende war nicht mehr an Ostern (Zeit der Konfirmationen), sondern jetzt im Sommer. Es gab ein Kurzschuljahr (wann genau?).
Die nun aufkommenden Schulgesetze (Baden-Württembergisches Schulgesetz: 1974) ermöglichten -- wegen des Wegfalls der traditionell evangelischen Dorfschulen -- als Ausgleich die Einrichtung konfessioneller Schulen. Papas Freund Otto Schaude ergriff die Gelegenheit beim Schopf und gründete die Freie Evangelische Schule Reutlingen, die Vorbild für immer noch mehr werdende solche FES wurde. Papa aber, frisch verheiratet, Schulleiter im Dorfschulhaus mit wachsender Kinderschar, der früher so dominant und einflussreich war auf Leute wie Otto Schaude (siehe auf der Internetseite johannaebinger.weebly.com unter "Rundbriefe" zum Tod von Otto Schaude unter dem 16.11.2016 und seine Erinnerung an Papas Zuspruch in seiner Jugend), blieb nun ruhig und zurückhaltend, machte alles weiter, wie er es als konfessionell ausgebildeter Dorfschullehrer gelernt hatte. Geistig-weltanschaulich hielt er also am Alten fest.
Aber technisch gesehen, erlebte meine Vater diese neue Zeit aktiv und genoss es: Er fuhr mit seinem Auto viel in die umliegenden Städte Nürtingen und Reutlingen und nutzte dort die aufkommenden Kopier-Läden für seine Schul-Materialien, kaufte neue Medien (Matrizen-Brenner, verbesserte Umdrucker, seine Schule hatte sehr früh einen Fotokopierer, Tageslichtprojektoren, er baute die kippbaren Leinwände selber in die Klassenzimmer!), er kaufte auch ein Gerät, das aus Büchern direkt Bilder an die Wand werfen konnte, kaufte in der Stadt beim Spezialisten Bosch-Ersatzteile für Küchengeräte z.B., vor allem aber ging er viel zu Supermärkten und Lebensmittel-Großhändlern, z.B. Geska in Reutlingen-Betzingen, nutzte die Kreisbildstelle.
Familienleben im Altenrieter Schulhaus 1970--2004 als Dorfschulmeister
Diesen gesellschaftlichen Wandel bekam mein Vater durch eine Beförderung zum Schulleiter mit. Er wechselte ins Nachbardorf Altenriet, was allerdings in einem anderen Regierungsbezirk lag. Er kam dadurch aber seiner alten Heimat näher und wohnte nun im Landkreis Esslingen, dem Landkreis seines Studienortes (nach der Landkreis-Reform war der Landkreis Nürtingen aufgelöst). Jetzt gab es keine Klassen mehr mit mehreren Jahrgängen in einem Zimmer, sondern mein Vater fand sich plötzlich an einer reinen Grundschule wieder. Da das sehr große und schöne Altenrieter Gründerzeit-Schulgebäude (die beiden Lehrerswohnungen waren schön, aber vom Standard in den 34 Jahren dann veraltet, die Zentralheizung funktionierte anfangs wohl teilweise nicht richtig) aber nur drei Klassenzimmer besaß, musste immer eine der vier Grundschulklassen in den Nachbarort Schlaitdorf per Bus (Motorisierung war schon längst so weit fortgeschritten, dass es Buslinien gab). Das war auch der Ort, der einen Pfarrer hatte und Altenriet immer ein wenig voraus war. Diese Zurücksetzung gegenüber dem Nachbarort, die auch ein geringeres Gehalt für meinen Vater bedeutete, machte ihm überhaupt nichts aus. Sogar seine eigenen Kinder mussten ihre Grundschulzeit teilweise im Nachbarort verbringen. Zum dortigen Schulleiter und seiner Frau hatte er immer ein gutes Verhältnis.
Ich selber hab die erste Klasse bei meinem Vater besucht! Er brachte mir Lesen, Schreiben und Rechnen bei! Wie schön!
Am Ende des Jahrtausends erweiterte mein Vater allerdings durch einen Anbau das Schulgebäude, so dass er in seinen letzten Jahren eine vollständige Grundschule mit Neubau führte und auch alle Gehaltszurücksetzungen aufgehoben waren.
Innerhalb weniger Jahre zog mein Vater (wohl eher meine Mutter plus zeitweise Haushaltspraktikantin) viele Kinder auf. Mietete die zweite Lehrerwohnung oben im Schulhaus schnell dazu (die nette Fam. Vohrer zog aus). Wir erlebten eine Dorf-Idylle, hatten Blick auf die Schwäbische Alb, Platz ums Haus zum Spielen, in den Ferien durften wir sogar teilweise die Klassenzimmer nutzen! Ein Paradies, der Vater war immer da für uns, die Mutter sowieso.
In Altenriet gab es nur eine Hahn'sche Gemeinschaft (also keinen CVJM oder Altpietisten oder einen Brüderbund), also gingen meine Eltern da hin, mein Vater leitete diese Gemeinschaft all die Altenrieter Jahre mit großer Ausdauer und gelegentlichen Auswendiglern-Aktionen (Bibel-Memory), freundeten sich mit den hilfsbereiten Leuten des Stundenhauses an (Tante Gerlinde Teil der Familie)
Putzfrau Frau Pfleger auch Teil der Familie
Familie Bauer aus der Stunde eng mit uns verbunden
Frau Stock, Frau Thüringer in der Stunde, Ehepaar Weiß (urspr. bessarabische Vertriebene) enge Weggenossen in der Stunde, Besuch der Monatsstunden, Bezirks- und andere Stunden-Brüder-Besuche aus Neckartailfingen, Neckartenzlingen, Degerschlacht (Familie Heim), Reise-Bruder Stepper (dessen Sohn später in Pliezhausen der Pfarrer beim Tod meines Vaters)
Mein Vater lebte hier also seine konservative Seite aus: Er sang mit seinen Schülern die evangelischen Kirchenlieder am Klavier im Klassenzimmer, prägte die Schule trotz der zwei anderen, katholischen Lehrer konfessionell evangelisch, spielte die Orgel in der Kirche, leitete den evangelischen Kirchenchor, war im Kirchengemeinderat, war der Stundenleiter
Es war auch lange nach 1968 und nach allen Reformen in Altenriet so, als wäre die Zeit stehen geblieben -- romantische Dorfschule
Er war gewählter Abgeordneter in der Evangelischen Landessynode in Stuttgart (Kirchenparlament) sowie in der Bezirkssynode in Nürtingen für "Lebendige Gemeinde" (Konservativer Gesprächskreis -- erzählte uns viel von Charakterköpfen da: Walter Tlach, Scheffbuchs, Dekan Holland ...)
Freunde aus der Zeit: Der Schlaitdorfer Pfarrer Wolfgang Miller (später auch der spätere Pfarrer Schwarz), Ruhestandspfarrers-Ehepaar Häfner, Herr Theo Rehm aus Neckartailfingen, Dekan Braun
Er machte mit Pfr. Miller und Siegfreid Kullen Bibel-Schmuggel-Fahrten ins kommunistische Rumänien, unterstützte das Missionswerk Licht im Osten
Er baute das Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen mit auf, eine kirchenpolitisch eher konservative Aktion gegen das politisch eher linke, sozusagen verweltlichte Evangelische Stift in Tübingen (68er Revolution, "atomwaffenfreie Zone" bis weit in die 90er), war dort jahrelang in Gremien tätig
Er wollte eigentlich nie in Urlaub fahren
Wir waren daher nur bei der Oma auf der Schwäbischen Alb in Urlaub zunächst
Später dann innerhalb Baden-Württembergs nach dem Vorbild des Schwagers Gustav Fuchs (Langenburg, Rührberg, Kappelrodeck)
Dann auch an den Oberitalienischen Seen dank des Schweizer Vereins "Christliche Familienherbergen"
Hier entwickelte mein Vater eine große Neugier, bereitete die Urlaube -- die später auch in andern Ländern waren (Schweiz, Slowakei, Norddeutschland) – sorgfältig vor und zeigte uns viel von Italien (Venedig, Mailand, Turin, Florenz, Rom), aber auch die Schweizer Kunstmuseen, oder die in München, Frankfurt, zeigte uns Prag, Hamburg, die Niederlande etc. Er ließ sich frühzeitig von den Fremdenverkehrsämtern Prospekte kommen und bereitete dann große Besichtigungsfahrten vor.
Die Eltern beschäftigten sich geistig viel mit pietistischen Pädagogik-Traditionen: Oberlin im Steintal, Gustav Werner, St. Chrischona mit Spittler, Francke
Hier verfasst mein Vater auch Artikel im Lehrerboten bzw. ein Kapitel in einem Pädagogik-Buch (Karl Ebinger: "Die Kullen", in: Dieter Velten (Hg.): Glauben -- Lehren -- Erziehen. Pädagogen und pädagogische Konzepte im Pietismus. Gießen / Basel: Brunnen, Dillenburg: Gnadauer, 1988, Seiten 123--143)
Sie nahmen sich die Dorflehrer-Kullen-Tradition von Hülben als Vorbild
Das dortige Schulhaus hatte über mehrere Dorflehrer-Generationen und über die altpietistische Stunde das Dorf geprägt
Dieses Ideal schwebte meinen Eltern vor auch für Altenriet
Sie erfüllten es mit Leben, so weit es in der modernen, säkularen, industrialisierten Zeit möglich war
Fernsehen lehnten meine Eltern ab (außer während der Fußball-WM)
Sie waren dabei sehr standhaft und konsequent
Immer noch vom Krieg geprägt, wo es in der Familie meiner Mutter galt, mutig gegen den Strom der Nazi-Zeit zu schwimmen, wurden wir erzogen, mutig gegen die Strömungen der "modernen" Zeit zu schwimmen
Irgendwann wuchsen wir zahlreichen Kinder dann meinen Eltern über den Kopf und zogen weg zum Studieren
Der Brüderbund und der Posaunenchor in Schlaitdorf, der CVJM in Walddorf, die Jugendarbeit in Neckartenzlingen, das Gymnasium in Neckartenzlingen halfen uns hier beim Erwachsenwerden und Loslösen und Finden eigener Wege in den Glauben
Unser Vater unterstützte uns dabei nach Kräften, lieh uns sein Auto, kaufte zusätzliche Autos, gab uns Geld
Er machte selber eine Zeit lang Jungschar (Gitarre, Flanell-Bilder, auch meine Mutter zeichnete sich als Erzählerin aus an einer Art Flipchart, wo sie Kindern, die auf Besuch waren, zum Beispiel den "Sünden-Boppel" erzählte -- sehr eindrücklich mir bis heute die bebilderte Version von John Bunyans Pilgerreise), später unterstützte unser Vater uns, eine eigene Jugendarbeit anzufangen und durchzuführen
Mir persönlich besorgte er zwei Studentenzimmer in Tübingen über seine zahlreichen pietistischen Freunde
Auffällig: a) Große Gastfreundschaft im Schulhaus Altenriet, Gastzimmer, Obdachloser Herr Fesel bekam unten was zu essen, regelmäßige Tischgäste (Vikare, Auszubildende ...), Familienfeste, Besuchskultur
b) Liebe Leute aus dem Dorf legten dem Dorfschulmeister ziemlich oft Salat und Gemüse aus ihren Gärten an unsere Haustür, anonym, ich denke zum Beispiel gern an den Altenrieter Ackersalat; an Weihnachten spendierte die Gemeinde einen Christbaum -- das war toll
Ruhestand in Pliezhausen
Weiter Mitarbeit in Kirchengemeinde (Orgeldienst -- später nur dessen Organisation, Besuchsdienst, Gebetsgemeinschaft sonntags, Mitarbeit bei einer Zeltmission) und Stunde (Wohnen im Stundenhaus)
Hahn'sche Gemeinschaft stellt Haus zur Verfügung, die Papa ursprünglich ja auch nach Dörnach geholt hatte
Er las in den letzten Urlauben, die ich mit ihm weg war, und auch sonst Bibelkommentare, bereitete seine Bibelstunden vor. Auch las er in den letzten Jahren sehr gern die Jesus-Trilogie von Papst Benedikt XVI.
Mein Vater spielte bis fast zum Schluss Choräle auf dem Klavier, räumte immer noch die Geschirrspülmaschine ein, fegte einmal den Gang. Von meiner Mutter und Zwillingsschwester erfuhr ich, dass er sich oft und wiederholt in seinen letzten Lebenswochen ein selbst ausgewähltes Kapitel vorlesen ließ aus: Hans-Dieter Frauer: Das schwäbische Paradies. Geschichten zur Geschichte – Pietismus in Württemberg. Marburg: Francke, 2009. Meiner Zwillingsschwester Maria berichtete mein Vater auch von einem Traum in seinen letzten Monaten, der die Hahn`sche Gemeinschaft betraf, zu der er so lange gehört hat: Im Traum verlud mein Vater einen Holz-Stapel hinter dem Stundenhaus zusammen mit einem örtlichen Stundenbruder. Plötzlich kam zwischen den Holzscheiten ein Zettel heraus. Darauf stand, dass in der Stunde am Brüdertisch auch Frauen die Bibel auslegen sollten. Teilweise habe das die Stunde sogar umgesetzt, erzählte meine Schwester. (Dazu der Prophet Joel 3,1: Eure Alten sollen Träume haben.)
Hobbys (zusammen mit meiner Mutter): Bachmusik, Plattensammlung (meine Mutter besuchte in ihrer Tübinger Zeit z.B. gern die Bachmotetten in der Stiftskirche), antike Möbel (vor allem Sekretäre), kleinere Perserteppiche (sog. Brücken), Kunstmuseen, z.B. auch Isenheimer Altar Colmar, Cembalos, Orgelbau, Baden im Thermalbad Urach oder Beuren (denn mein Vater litt zeitenweise an Ischias, hatte starke Rückenschmerzen), er ging mit uns Kindern samstags öfter ins Nürtinger Hallenbad, wo wir alle das Schwimmen bei ihm lernten, Genealogie (Familien-Stammbäume erforschen)
31.3.2018 (Ostern) – Christian Ebinger